Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung
Compare-
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, im folgenden als „Mitgliedstaaten“ bezeichnet;
Eingedenk der engen Beziehungen, die zwischen ihren Völkern bestehen;
In Anbetracht der Entwicklung, die auf den Abbau der Hindernisse für die Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten abzielt;
In dem Wunsch, ihre Zusammenarbeit in Strafsachen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens, gegenseitigen Verständnisses und gegenseitiger Achtung auszuweiten;
Überzeugt, daß es Ausdruck solchen Vertrauens, solchen Verständnisses und solcher Achtung ist, wenn das Verbot der doppelten Strafverfolgung in bezug auf ausländische Justizentscheidungen wechselseitig anerkannt wird –
Sind wie folgt übereingekommen:
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Artikel 1
Wer in einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, daß im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.
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Artikel 2
(1) Ein Mitgliedstaat kann bei der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung dieses Übereinkommens erklären, daß er in einem oder mehreren der folgenden Fälle nicht durch Artikel 1 gebunden ist:
a) wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet begangen wurde. Im letzteren Fall gilt diese Ausnahme jedoch nicht, wenn diese Tat teilweise im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats begangen wurde, in dem das Urteil ergangen ist;
b) wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, eine gegen die Sicherheit oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen dieses Mitgliedstaats gerichtete Straftat darstellt;
c) wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, von einem Bediensteten dieses Mitgliedstaats unter Verletzung seiner Amtspflichten begangen wurde.
(2) Ein Mitgliedstaat, der eine Erklärung betreffend die in Absatz 1 Buchstabe b genannte Ausnahme abgibt, bezeichnet die Arten von Straftaten, auf diese Ausnahme Anwendung finden kann.
(3) Ein Mitgliedstaat kann eine solche Erklärung betreffend eine oder mehrere der in Absatz 1 genannten Ausnahmen jederzeit zurücknehmen. Die Rücknahme wird dem Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens notifiziert und wird am ersten Tag des auf den Tag dieser Notifikation folgenden Monats wirksam.
(4) Ausnahmen, die Gegenstand einer Erklärung nach Absatz 1 waren, finden keine Anwendung, wenn der betreffende Mitgliedstaat den anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat um Verfolgung ersucht oder die Auslieferung des Betroffenen bewilligt hat.
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Artikel 3
Wird in einem Mitgliedstaat eine erneute Verfolgung gegen eine Person eingeleitet, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat rechtskräftig abgeurteilt wurde, so wird jede in dem zuletzt genannten Mitgliedstaat wegen dieser Tat erlittene Freiheitsentziehung auf eine etwa zu verhängende Sanktion angerechnet. Soweit das innerstaatliche Recht dies erlaubt, werden andere als freiheitsentziehende Sanktionen ebenfalls berücksichtigt, sofern sie bereits vollstreckt wurden.
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Artikel 4
(1) Ist eine Person in einem Mitgliedstaat wegen einer Straftat angeschuldigt und haben die zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats Grund zu der Annahme, daß die Anschuldigung dieselbe Tat betrifft, derentwegen der Betreffende in einem anderen Mitgliedstaat bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde, so ersuchen sie, sofern sie es für erforderlich halten, die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem die Entscheidung ergangen ist, um sachdienliche Auskünfte.
(2) Die erbetenen Auskünfte werden so bald wie möglich erteilt und sind bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Verfahrens zu berücksichtigen.
(3) Jeder Mitgliedstaat gibt bei der Unterzeichnung, der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung dieses Übereinkommens die Behörden an, die befugt sind, um Auskünfte nach diesem Artikel zu ersuchen und solche entgegenzunehmen.
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Artikel 5
Die vorstehenden Bestimmungen stehen der Anwendung weitergehender innerstaatlicher Bestimmungen über die Geltung des Verbots der doppelten Strafverfolgung in bezug auf ausländische Justizentscheidungen nicht entgegen.
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Artikel 6
(1) Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens hinterlegt.
(2) Dieses Übereinkommen tritt 90 Tage nach Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden durch alle Staaten in Kraft, die an dem Tag, an dem es zur Unterzeichnung aufgelegt wird, Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind.
(3) Bis zum Inkrafttreten dieses Übereinkommens kann jeder Staat bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde oder jederzeit danach erklären, daß dieses Übereinkommen für ihn im Verhältnis zu anderen Staaten, welche dieselbe Erklärung abgegeben haben, 90 Tage nach der Hinterlegung in Kraft tritt.
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Artikel 7
(1) Dieses Übereinkommen steht jedem Staat, der Mitglied der Europäischen Gemeinschaften wird, zum Beitritt offen. Die Beitrittsurkunden werden beim Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens hinterlegt.
(2) Dieses Übereinkommen tritt für jeden Staat, der ihm beitritt, 90 Tage nach Hinterlegung seiner Beitrittsurkunde in Kraft.
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Artikel 8
(1) Jeder Mitgliedstaat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet.
(2) Jeder Mitgliedstaat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde oder jederzeit danach durch eine an das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens gerichtete Erklärung dieses Übereinkommen auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken, dessen internationale Beziehungen er wahrnimmt oder für das er Vereinbarungen treffen kann.
(3) Jede nach Absatz 2 abgegebene Erklärung kann in bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Rücknahme wird sofort oder zu einem in der Notifikation genannten späteren Zeitpunkt wirksam.
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Artikel 9
Das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens notifiziert allen Mitgliedstaaten jede Unterzeichnung, Hinterlegung von Urkunden, Erklärung oder Notifikation.
Das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens übermittelt der Regierung jedes Mitgliedstaates eine beglaubigte Abschrift.
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Geschehen zu Brüssel am fünfundzwanzigsten Mai neunzehnhundertsiebenundachtzig in allen Amtssprachen der Europäischen Gemeinschaften, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten Belgiens hinterlegt wird.