Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs
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(Liste der Vertragsparteien)
in der Absicht, die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Falle eines Landkriegs genauer festzustellen und die Lage der auf neutrales Gebiet geflüchteten Angehörigen einer Kriegsmacht zu regeln,
sowie von dem Wunsche geleitet, den Begriff des Neutralen zu bestimmen, in Erwartung der zeit, wo es mögoch sein wird, die Lage neutraler Privatpersonen in ihren Beziehungen zu den Kriegführenden im ganzen zu regeln,
haben beschlossen, zu diesem Zwecke ein Abkommen zu treffen und haben demzufolge zu Ihren Bevollmächtigten ernannt:
[Liste der Bevollmächtigten]
Welche, nachdem sie ihre Vollmachten hinterlegt und diese in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind:
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Erstes Kapitel
Rechte und Pflichten der neutralen Mächte-
Artikel 1
Das Gebiet der neutralen Mächte ist unverletzlich.
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Artikel 2
Es ist den Kriegführenden untersagt, Truppen oder Munitions- oder Verpflegungskolonnen durch das Gebiet einer neutralen Macht hindurchzuführen.
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Artikel 3
Es ist den Kriegführenden gleichermaßen untersagt:
a) auf dem Gebiet einer neutralen Macht eine funkentelegraphische Station einzurichten oder sonst irgend eine Anlage, die bestimmt ist, einen Verkehr mit den kriegführenden Land- oder Seestreitkräften zu vermitteln;
b) irgend eine Einrichtung dieser Art zu benutzen, die von ihnen vor dem Kriege auf dem Gebiete der neutralen Macht zu einem ausschließlich militärischen Zwecke hergestellt und nicht für den öffentlichen Nachrichtendienst freigegeben worden ist.
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Artikel 4
Auf dem Gebiet einer neutralen Macht dürfen zugunsten der Kriegführenden weder Korps von Kombattanten gebildet noch Werbestellen eröffnet werden.
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Artikel 5
Eine neutrale Macht darf auf ihrem Gebiete keine der in den Artikeln 2 bis 4 bezeichneten Handlungen dulden.
Sie ist nur dann verpflichtet, Handlungen, die der Neutralität zuwiderlaufen, zu bestrafen, wenn diese Handlungen auf ihrem eigenen Gebiete begangen sind.
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Artikel 6
Eine neutrale Macht ist nicht dafür verantwortlich, daß Leute einzeln die Grenze überschreiten, um in den Dienst eines Kriegführenden zu treten.
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Artikel 7
Eine neutrale Macht ist nicht verpflichtet, die für Rechnung des einen oder des anderen Kriegführenden erfolgende Ausfuhr oder Durchfuhr von Waffen, Munition und überhaupt von allem, was für ein Heer oder eine Flotte nützlich sein kann, zu verhindern.
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Artikel 8
Eine neutrale Macht ist nicht verpflichtet, für Kriegführende die Benutzung von Telegraphen- oder Fernsprechleitungen sowie von Anlagen für drahtlose Telegraphie, gleichviel ob solche ihr selbst oder ob sie Gesellschaften oder Privatpersonen gehören, zu untersagen oder zu beschränken.
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Artikel 9
Alle Beschränkungen oder Verbote, die von einer neutralen Macht in Ansehung der in den Artikeln 7,8 erwähnten Gegenstände angeordnet werden, sind von ihr auf die Kriegführenden gleichmäßig anzuwenden.
Die neutrale Macht hat darüber zu wachen, daß die gleiche Verpflichtung von den Gesellschaften oder Privatpersonen eingehalten wird, in deren Eigentum sich Telegraphen- oder Fernsprechleitungen oder Anlagen für drahtlose Telegraphie befinden.
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Artikel 10
Die Tatsache, daß eine neutrale Macht eine Verletzung ihrer Neutralität selbst mit Gewalt zurückweist, kann nicht als eine feindliche Handlung angesehen werden.
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Zweites Kapitel
Bei Neutralen untergebrachte Angehörige einer Kriegsmacht und in Pflege befindliche Verwundete-
Artikel 11
Die neutrale Macht, auf deren Gebiet Truppen der kriegführenden Heere übertreten, muß sie möglichst weit vom Kriegsschauplatz unterbringen.
Sie kann sie in Lagern verwahren und sie auch in Festungen oder in anderen zu diesem Zwecke geeigneten Orten einschließen.
Es hängt von ihrer Entscheidung ab, ob Offiziere, die sich auf Ehrenwort verpflichten, das neutrale Gebiet nicht ohne Erlaubnis zu verlassen, frei gelassen werden können.
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Artikel 12
In Ermangelung einer besonderen Vereinbarung hat die neutrale Macht den bei ihr untergebrachten Personen Nahrung, Kleidung und die durch die Menschlichkeit gebotenen Hilfsmittel zu gewähren.
Die durch die Unterbringung verursachten Kosten sind nach dem Friedensschlusse zu ersetzen.
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Artikel 13
Die neutrale Macht, die entwichene Kriegsgefangene bei sich aufnimmt, wird diese in Freiheit lassen. Wenn sie ihnen gestattet, auf ihrem Gebiete zu verweilen, so kann sie ihnen den Aufenthaltsort anweisen.
Die gleiche Bestimmung findet Anwendung auf die Kriegsgefangenen, die von den Truppen bei ihrer Flucht auf das Gebiet der neutralen Macht mitgeführt werden.
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Artikel 14
Eine neutrale Macht kann den Durchzug von Verwundeten oder Kranken der kriegführenden Heere durch ihr Gebiet gestatten, doch nur unter dem Vorbehalten, daß die zur Beförderung benutzen Züge weder Kriegspersonal noch Kriegsmaterial mit sich führen. Die neutrale Macht ist in einem solchen Falle verpflichtet, die erforderlichen Sicherheits- und Aufsichtsmaßregeln zu treffen.
Die der Gegenpartei angehörenden Verwundeten oder Kranken, die unter solchen Umständen von einem der Kriegführenden auf neutrales Gebiet gebracht werden, sind von der neutralen Macht derart zu bewachen, daß sie an den Kriegsunternehmungen nicht wieder teilnehmen können. Diese Macht hat die gleichen Verpflichtungen in Ansehung der ihr anvertrauten Verwundeten oder Kranken des anderen Heeres.
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Artikel 15
Das Genfer Abkommen gilt auch für die im neutralen Gebiet untergebrachten Kranken und Verwundeten.
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Drittes Kapitel
Neutrale Personen-
Artikel 16
Als Neutrale sind anzusehen die Angehörigen eines an dem Kriege nicht beteiligten Staates.
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Artikel 17
Ein Neutraler kann sich auf seine Neutralität nicht berufen:
a) wenn er feindliche Handlungen gegen einen Kriegführenden begeht;
b) wenn er Handlungen zugunsten eines Kriegführenden begeht, insbesondere wenn er freiwillig Kriegsdienste in der bewaffneten Macht einer der Parteien nimmt.
In einem solchen Falle darf der Neutrale von dem Kriegführenden, dem gegenüber er die Neutralität außer acht gelassen hat, nicht strenger behandelt werden, als ein Angehöriger des anderen kriegführenden Staates wegen der gleichen Tat behandelt werden kann.
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Artikel 18
Als Handlungen zugunsten eines Kriegführenden im Sinne des Artikel 17b sind nicht anzusehen:
a) die Übernahme von Lieferungen oder die Bewilligung von Darlehen an einen Kriegführenden, vorausgesetzt, daß der Lieferant oder Darleiher weder im Gebiete der anderen Partei noch in dem von ihr besetzten Gebiete wohnt und daß auch die Lieferungen nicht aus diesen Gebieten herrühren;
b) die Leistung von polizeilichen oder Zivilverwaltungsdiensten.
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Viertes Kapitel
Eisenbahnmaterial-
Artikel 19
Das aus dem Gebiet einer neutralen Macht herrührende Eisenbahnmaterial, das entweder dieser Macht oder Gesellschaften oder Privatpersonen gehört und als solches erkennbar ist, darf von einem Kriegführenden nur in dem Falle und in dem Maße, in dem eine gebieterische Notwendigkeit es verlangt, angefordert und benutzt werden. Es muß möglichst bald in das Herkunftsland zurückgesandt werden.
Desgleichen kann die neutrale Macht im Falle der Not das aus dem Gebiete der kriegführenden Macht herrührende Material in entsprechendem Umfange festhalten und benutzen.
Von der einen wie von der anderen Seite soll eine Entschädigung nach Verhältnis des benutzten Materials und der Dauer der Benutzung gezahlt werden.
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Fünftes Kapitel
Schlußbestimmungen-
Artikel 20
Die Bestimmungen dieses Abkommens finden nur zwischen Vertragsmächten Anwendung und nur dann, wenn die Kriegführenden sämtlich Vertragsparteien sind.
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Artikel 21
Dieses Abkommen soll möglichst bald ratifiziert werden.
Die Ratifikationsurkunden sollen im Haag hinterlegt werden.
Die erste Hinterlegung von Ratifikationsurkunden wird durch ein Protokoll festgestellt, das von den Vertretern der daran teilnehmenden Mächte und von dem Niederländischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten unterzeichnet wird.
Die späteren Hinterlegungen von Ratifikationsurkunden erfolgen mittels einer schriftlichen, an die Regierung der Niederlande gerichteten Anzeige, der die Ratifikationsurkunde beizufügen ist.
Beglaubigte Anschrift des Protokolls über die erste Hinterlegung von Ratifikationsurkunden, der im vorstehenden Absatz erwähnten Anzeigen sowie der Ratifikationsurkunden wird durch die Regierung der Niederlande den zur Zweiten Friedenskonferenz eingeladenen Mächten sowie den anderen Mächten, die dem abkommen beigetreten sind, auf diplomatischem Wege mitgeteilt werden. In den Fällen des vorstehenden Absatzes wird die bezeichnete Regierung ihnen zugleich bekanntgeben, an welchem Tage sie die Anzeige erhalten hat.
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Artikel 22
Die Mächte, die nicht unterzeichnet haben, können diesem Abkommen später beitreten.
Die Macht, die beizutreten wünscht, hat ihre Absicht der Regierung der Niederlande schriftlich anzuzeigen und ihr dabei die Beitrittsurkunde zu übersenden, die im Archive der bezeichneten Regierung hinterlegt werden wird.
Diese Regierung wird unverzüglich allen anderen Mächten beglaubigte Abschrift der Anzeige wie der Beitrittsurkunde übersenden und zugleich angeben, an welchem Tage sie die Anzeige erhalten hat.
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Artikel 23
Dieses Abkommen wird wirksam für die Mächte, die an der ersten Hinterlegung von Ratifikationsurkunden teilgenommen haben, sechzig Tage nach dem Tage, an dem das Protokoll über diese Hinterlegung aufgenommen ist, und für die später ratifizierenden oder beitretenden Mächte sechzig Tage, nachdem die Regierung der Niederlande die Anzeige von ihrer Ratifikation oder von ihrem Beitritt erhalten hat.
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Artikel 24
Sollte einer der Vertragsmächte dieses Abkommen kündigen wollen, so soll die Kündigung schriftlich der Regierung der Niederlande erklärt werden, die unverzüglich beglaubigte Abschrift der Erklärung allen anderen Mächten mitteilt und ihnen zugleich bekanntgibt, an welchem Tage sie die Erklärung erhalten hat.
Die Kündigung soll nur in Ansehung der Macht wirksam sein, die sie erklärt hat, und erst ein Jahr, nachdem die Erklärung bei der Regierung der Niederlande eingegangen ist.
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Artikel 25
Ein im Niederländischen Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten geführtes Register soll den Tag der gemäß Artikel 21 Abs. 3, 4 erfolgten Hinterlegung von Ratifikationsurkunden angeben sowie den Tag, an dem die Anzeigen von dem Beitritt (Artikel 22 Abs. 2) oder von der Kündigung (Artikel 24 Abs. 1) eingegangen sind.
Jede Vertragsmacht hat das Recht, von diesem Register Kenntnis zu nehmen und beglaubigte Auszüge daraus zu verlangen.
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Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen mit ihren Unterschriften versehen.
Geschehen im Haag am achtzehnten Oktober neunzehnhundertsieben in einer einzigen Ausfertigung, die im Archive der Regierung der Niederlande hinterlegt bleiben soll und wovon beglaubigte Abschriften den zur Zweiten Friedenskonferenz eingeladenen Mächten auf diplomatischem Wege übergeben werden sollen.
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